Vom Website Management auf die Yogamatte: Wie funktioniert barrierefreies Yoga?
In den letzten Monaten habe ich mich in meinem Job als Website Managerin viel mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt. Abends beim Entspannen auf der Yoga-Matte kam mir irgendwann die Frage: Wie sieht Barrierefreiheit eigentlich im Yoga aus? Und welche neuen Perspektiven ergeben sich daraus auf das Thema Barrierefreiheit?
Katja Sandschneider ist Yoga-Lehrerin und leitet seit 2014 ihre eigenen Yoga-Klassen mit dem Namen „Yoga barrierefrei“. Aufgrund einer Gehbehinderung lebt sie schon viele Jahre lang mit chronischen Rückenschmerzen und Verspannungen.
Mit ihrer Yoga-Praxis hat sie erst sich selbst und später vielen Teilnehmenden geholfen, körperliche Beschwerden zu lindern und in einer vertrauensvollen Atmosphäre unabhängig von Erfahrung und Bewegungseinschränkungen Yoga zu praktizieren. Im Interview erklärt sie, wie sie zum Yoga gekommen ist, was ihre Klassen barrierefrei macht und warum barrierefreies Yoga für ihre Teilnehmenden so hilfreich ist.

So hat Katja barrierefreies Yoga entdeckt
Wie bist du selbst zum Yoga gekommen? Was bedeutet Yoga für dich?
Seit meiner Jugend war ich auf der Suche nach etwas, was meinen Rückenschmerzen entgegenwirkt, da ich aufgrund meiner Gehbehinderung und einer Skoliose viele Verspannungen habe. Von Physiotherapie und Fitnessstudio über Schwimmen bis hin zu Feldenkrais und Taiji hatte ich viel ausprobiert. Auch Yoga stand schon lange auf meiner Ideenliste, ich hatte aber Hemmungen, da ich nicht wusste, ob ich die Übungen aufgrund meiner körperlichen Einschränkung mitmachen kann.
Als dann ein Yogastudio in meiner Nachbarschaft eröffnete, gab mir das den nötigen Impuls und ich war von der ersten Stunde an begeistert. Seitdem – das war 2010 – begleitet mich Yoga fast täglich und ich bin jeden Tag dankbar dafür, denn es hilft mir enorm, mich meinen Rückenschmerzen nicht so ausgeliefert zu fühlen und mir selbst helfen zu können.
Ich fühle mich jedes Mal (!) besser nach der Yoga-Praxis. Bei Krankheit oder Behinderung verspürst du oft eine Art Kontrollverlust. Yoga ist das komplette Gegenteil: Du kommst wieder in deine Kraft, deine Balance, dein Wohlbefinden und trägst somit sehr aktiv und bewusst zu deiner eigenen physischen und mentalen Gesundheit bei.

Katja Sandschneider, Foto: Hajo Sandschneider
Was hat dich dazu bewogen, „Yoga barrierefrei“ zu gründen?
Es gab einen Schlüsselmoment auf meiner ersten Yoga-Reise auf Korfu. Eine andere Kursteilnehmerin fragte mich, ob ich auch Yogalehrerin sei. Für mich war das in diesem Moment eine völlig absurde Frage, denn aufgrund meiner Behinderung war es für mich absolut klar, dass das nicht möglich ist. Und sie antwortete mir einfach: „Warum nicht?“
Diese zwei Worte haben buchstäblich mein Leben verändert. Denn sie hatte völlig Recht. Warum eigentlich nicht?
Und der direkt darauffolgende Gedanke war: Wenn ich Yogalehrerin werde, dann möchte ich auch Menschen, die wie ich eine Körperbehinderung haben, unterrichten. Gleich vom ersten Moment an brannte ich für diese Idee und konnte deutlich spüren, dass es der richtige Weg ist.
Was nicht bedeutet, dass es immer einfach war. Ich musste mich dabei noch mal sehr intensiv mit meiner eigenen Behinderung beschäftigen, sowohl physisch als auch psychisch.
Aber ich kann heute sagen, dass ich mit diesem Yoga-Weg viel mehr Frieden mit meiner Behinderung und meinem Körper geschlossen habe. Und ich bin sehr froh, dieses machtvolle Instrument auch anderen Menschen mit körperlichen Einschränkungen weitergeben zu können. Denn sie machen eine ähnliche Erfahrung wie ich: Man ist nicht nur von Therapeuten und Ärzten abhängig, sondern kann sich auch selbst ein gutes Stück weit helfen.
Barrierefreies Yoga in der Praxis: Wie Katja ihre Klassen gestaltet
Welche Aspekte machen deine Yoga-Klassen barrierefrei?
Zwei Punkte sind mir dabei wichtig: Zum einen gibt es zu jeder Zeit für jede Person eine Variation der jeweiligen Übung. Was in meinen Kursen nicht passiert – und wovor ich vor meiner ersten Yoga-Stunde extrem Angst hatte – ist, dass jemand einfach pausieren muss, am Rand „geparkt“ wird, weil er oder sie die Übung nicht so ausführen kann wie sie ursprünglich im Lehrbuch steht.
Ich gebe zum Teil sehr individuelle Variationen, sodass alle Teilnehmenden zu jeder Zeit mitmachen können. Wenn sie dann selbst entscheiden, kurz eine Pause einzulegen, weil ihr Körper ihnen ein Ausruh-Signal gibt, kann das natürlich passieren, hat aber eine ganz andere Qualität, weil sie es selbstbestimmt tun.
Zum anderen ist die Perspektive wichtig. Ich konzentriere mich immer darauf, was die Teilnehmenden können und nicht darauf, was alles nicht geht. Das macht einen entscheidenden Unterschied, auch in der Gesamtatmosphäre des Kurses. Die Teilnehmenden nutzen die Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, und wir wandeln Asanas, die Yoga-Stellungen, zum Teil sehr kreativ ab.

Foto: Kaboompics.com via Pexels
Warum kommen die Menschen zu deinen Yoga-Stunden? Was bekommen sie nur bei dir?
Mir ist es wichtig, eine sehr positive und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Die Teilnehmenden kennen sich zum Teil seit Jahren. Obwohl wir alle unsere chronischen Schmerzen und Themen haben, wird auch gewitzelt und gelacht. Wir tauschen uns vor und nach der Stunde immer kurz aus.
Und ich biete die Möglichkeit an, nach der Stunde auch in einem Einzelgespräch noch Fragen zu klären oder neue Variationen zu finden. Ich glaube, dass diese Mischung aus Gruppendynamik und individueller Betreuung den Menschen gefällt. Und gleichzeitig arbeitet etwas Größeres mit, die Kraft des Yoga, der Fluss der Lebensenergie. Das ist allerdings nicht mein Verdienst, ich bin letztlich nur die Vermittlerin.
Wie begegnest du Menschen, die neu in deine Klassen kommen? Was ist dir dabei wichtig?
Da ich meinen wöchentlichen Kurs mittlerweile nur noch online unterrichte, ist es mir sehr wichtig, dass ich vor der ersten Teilnahme mit der Person telefoniert habe. Manchmal steigen neue Interessierte auch mit einer Einzelstunde ein und kommen dann erst in den Gruppenkurs. In jedem Fall ist es gut, dass wir uns kurz kennenlernen und erste Fragen klären können.
Grundsätzlich kommt der Kommunikation bei Yoga barrierefrei eine große Rolle zu. Es ist wichtig für mich zu wissen, welche Bewegungen die Person gut und schmerzfrei ausführen kann, ob sie komplett im Sitzen oder auch auf der Matte mitmachen möchte, ob es Bewegungen gibt, die nicht ausgeführt werden sollten, ob bereits Erfahrungen mit Pranayama, also Atemübungen, vorliegen usw.
Es liegt mir am Herzen, dass die Person sich wohlfühlt, gefordert ist, sich aber gleichzeitig nicht überfordert. Ich betone in meinen Stunden immer wieder, die eigenen Grenzen zu respektieren und sehr auf die Körperwahrnehmung zu achten. Auch der Austausch nach der Yoga-Stunde ist wichtig: Wo müssen wir ggf. noch weitere oder bessere Variationen finden? Welcher Teil war fordernd? Was hat gut funktioniert? Welcher Unterschied ist nach der Praxis spürbar?
Wohlfühlen für alle: Positive Effekte von barrierefreiem Yoga
Wie fühlen sie sich in bzw. nach den Klassen mit dir? Was für Rückmeldungen bekommst du?
Das ist fast der schönste Teil an der ganzen Sache. Manchmal kommt es mir vor wie Magie und dann bin ich immer noch mehr begeistert und fasziniert von der Kraft des Yoga. Fast immer fühlen sich alle besser als vorher, Kopfschmerzen sind verschwunden, der Rücken ist wieder flexibler, die Atmung geht leichter und tiefer, sie fühlen sich wieder wohler und entspannter in ihrem Körper.
Natürlich gibt es aber auch Rückmeldungen, dass es anstrengend gewesen sei, dass die Übungen vielleicht zu kraftvoll gemacht, nötige Ruhepausen nicht eingelegt wurden und jetzt z. B. die Schulter zwickt. Das sind für mich auch ganz wichtige Informationen, da ich damit dieser Person beim nächsten Mal noch mal zielgenauer Anleitungen und sanftere Variationen geben kann, auch mit dem Fokus, achtsamer mit sich umzugehen und Zwischenentspannungen einzulegen.
Wie bei jeder körperlichen Betätigung kommt es sehr auf die richtige Balance an, die jede Person für sich selbst finden muss.

Foto: Cristina Taranovici
Wie fühlst du dich in/nach den Klassen? Was gibt dir deine Tätigkeit mit „Yoga barrierefrei“?
Während der Klassen bin ich meist recht konzentriert und versuche, alle Teilnehmenden gut im Blick zu halten, notwendige Korrekturen zu geben oder auch eine weitere Variation anzusagen, wenn ich merke, dass die bisher angebotenen für eine Person nicht passen.
Vor jeder Asana zeige ich in der Regel zwei bis drei Variationen im Sitzen, auf der Matte oder im Stehen. Dann können die Teilnehmenden selbst entscheiden und ausprobieren, welche davon für sie geeignet ist.
Natürlich spielt sich auch hier positive Routine ein und viele wissen bereits, wie sie welche Asana anpassen, wann sie Hilfsmittel wie Blöcke, Gurte oder Kissen brauchen und wann sie vom Stuhl auf die Matte oder zurückwechseln.
Es ist außerdem sehr schön zu sehen, wie jede Person ihren ganz individuellen Zugang zum Yoga findet, wie die Asanas bei den Teilnehmenden manchmal von außen sehr verschieden aussehen und sie innerlich doch alle auf die gleiche Essenz zurückzuführen sind.
Ich selbst fühle mich nach dem Unterrichten immer besser als vorher. Ich habe meist einen langen Bürotag hinter mir – ich unterrichte Yoga nebenberuflich – und bin vor Beginn der Stunde oft müde. Aber sobald es losgeht, finde ich meinen Fokus und bin danach – gerade auch bei den positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden – immer dankbar, die Yoga-Kurse geben zu können.
Dadurch empfinde ich ein tiefes Gefühl von Sinn, auch im Umgang mit meiner eigenen Behinderung.
Das können wir von barrierefreiem Yoga lernen
Gibt es Dinge, die du anders machst, die auch für Yoga-Studios ohne diese Spezialisierung hilfreich oder wünschenswert sein könnten?
Ich denke, dass der Schlüssel in den kleinen Gruppen und der individuellen Betreuung liegt; aber auch in dem Mut, von Asana-Reihenfolgen mal abzuweichen und Dinge anders zu machen, als man sie vielleicht ursprünglich in der Ausbildung gelernt hat.
In einer Power-Vinyasa-Stunde mit 50 Teilnehmenden wird es natürlich sehr schwer, auf jede Person individuell einzugehen. Das ist dort aber auch OK; der Ansatz ist ein anderer. Trotzdem ist es gut, sich als Yogalehrende auch fortzubilden, wie man Asanas abwandeln kann.
Denn es muss ja nicht immer eine Behinderung sein, die einen dazu zwingt, Dinge anders zu machen. Auch bei Arthrose, Bänderdehnungen, Bandscheibenvorfällen oder einfach körperlicher Steifheit muss die Praxis abgewandelt werden. Hier als Yogalehrende ein paar Ideen und Tipps für die Schülerinnen und Schüler zu haben, schadet bestimmt nicht.
Barrierefreies Yoga selbst ausprobieren
Wie kann man an deinen Kursen teilnehmen?
In der Pandemie habe ich – damals ja notgedrungen – begonnen, online zu unterrichten. Da in dieser Zeit Teilnehmende aus ganz Deutschland hinzukamen, die in ihrer direkten Umgebung keine weiteren barrierefreien Yoga-Angebote haben, unterrichte ich mittlerweile immer noch per Zoom. Das klappt erstaunlich gut.
Selbst den Teilnehmenden aus Berlin gefällt es, da sie den Weg ins Yoga-Studio gespart haben, der bei körperlichen Einschränkungen, wenn man z. B. auch auf den Sonderfahrdienst angewiesen ist, etwas mühsamer ist.
Jede Person, die Interesse an einer Teilnahme hat, kann mich gerne vorher per E-Mail oder telefonisch kontaktieren. Nach einem kurzen Kennenlernen schicke ich dann gerne die Einwahldaten zu. Da es sich um offene Stunden handelt, ist es ein Einstieg jederzeit möglich und die Teilnahme kann jede Woche individuell entschieden werden. Ich versuche damit, die Hemmschwellen für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger möglichst gering zu halten.
Meine Kontaktdaten und alle weiteren Informationen stehen auf meiner Website unter www.yoga-barrierefrei.de.
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